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27.01.2023

Jahressteuergesetz 2010: Übergangsregelung von Anrechnungs- zu Halbeinkünfteverfahren mit Grundgesetz teilweise unvereinbar

Die Übergangsregelung des § 36 Absatz 4 Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der Fassung von § 34 Absatz 13f KStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 ist mit Artikel 14 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) teilweise unvereinbar. Sie führe bei einer bestimmten Eigenkapitalstruktur zu einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotenzial, erläutert das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Dieses unterfalle, soweit es im Zeitpunkt des Systemwechsels vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren realisierbar war, dem Schutzbereich des Artikels 14 Absatz 1 GG. Der Eingriff in dieses Schutzgut sei nicht gerechtfertigt.

Nach dem bis Ende 2000 geltenden Anrechnungsverfahren wurden nicht ausgeschüttete steuerbare Gewinne von Körperschaften mit (zuletzt) 40 Prozent Körperschaftsteuer belastet (Tarifbelastung). Kam es später zu Gewinnausschüttungen, reduzierte sich der Steuersatz auf (zuletzt) 30 Prozent (Ausschüttungsbelastung). Für die Körperschaft entstand so ein Körperschaftsteuerminderungspotenzial in Höhe der Differenz zwischen Tarif- und Ausschüttungsbelastung, also in Höhe von zuletzt zehn Prozentpunkten. Beim Anteilseigner erfolgte die Besteuerung der Ausschüttung mit dem individuellen Einkommensteuersatz des Steuerpflichtigen unter Anrechnung der von der Kapitalgesellschaft entrichteten Körperschaftsteuer. Nach dem Halbeinkünfteverfahren wird auf der Ebene der Körperschaft für Gewinne nur noch eine einheitliche und endgültige Körperschaftsteuer in Höhe von (seit 2008) 15 Prozent erhoben. Auf der Ebene des Anteilseigners unterliegt der ausgeschüttete Kapitalertrag nur zur Hälfte (seit 2009 zu 60 Prozent) der Einkommensteuer.

§ 36 KStG ist Teil der Übergangsvorschriften, die den Wechsel vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren regeln. Danach wurden die unter dem Anrechnungsverfahren gebildeten, unterschiedlich mit Körperschaftsteuer belasteten und die nicht belasteten Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals in mehreren Schritten zusammengefasst und umgegliedert. Das in den verbleibenden belasteten Eigenkapitalteilen enthaltene Körperschaftsteuerminderungspotenzial wurde in ein Körperschaftsteuerguthaben umgewandelt, das während einer mehrjährigen Übergangszeit abgebaut werden konnte. Bei der Verrechnung der nicht steuerbelasteten Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals untereinander blieb der in § 30 Absatz 2 Nr. 4 KStG 1999 bezeichnete Teilbetrag des verwendbaren Eigenkapitals (EK 04), in dem offene und verdeckte Einlagen der Gesellschafter erfasst waren, unberücksichtigt. Dies führt laut BVerfG in bestimmten Fällen zu einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotenzial. Die davon betroffene Beschwerdeführerin wende sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen auf § 36 Absatz 4 KStG beruhende finanzbehördliche und finanzgerichtliche Entscheidungen sowie mittelbar gegen die Vorschrift selbst.

Die Verfassungsbeschwerde ist laut BVerfG begründet. § 36 Absatz 4 KStG sei mit Artikel 14 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 GG unvereinbar, soweit die Regelung zu einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotenzial führt, weil sie den in § 30 Absatz 2 Nr. 4 KStG 1999 bezeichneten Teilbetrag des verwendbaren Eigenkapitals nicht in die Verrechnung der unbelasteten Teilbeträge einbezieht.

Die Entscheidung ist mit sechs zu eins Stimmen ergangen.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24.11.2022, 2 BvR 1424/15 –Körperschaftsteuerminderungspotenzial II